Übergänge gleichwürdig gestalten


Eintauchen in die Welt des Kindes, in die Tätigkeit, die es gerade beschäftigt 


Jonas sitzt auf dem Teppich in seinem Zimmer. Er spielt ganz versunken mit seiner Puppe Lars.

Angestrengt versucht er ihr eine Hose über den Po zu ziehen. Dabei redet er beschwichtigend auf die Puppe ein. „Gell das magst du nicht, das ist echt doof. Warte, ich hab’s gleich.“ 


Sein Vater Malte hetzt derweilen durch die Wohnung und sucht Handschuhe und Mütze zusammen. 

Zwischendrin schaut er immer wieder unruhig auf die Uhr.

Endlich hat er alles beisammen und steht mit Jacke Mütze und Handschuhen bewaffnet in Jonas‘ Zimmertür. „Jonas, komm, wir müssen los.“

Jonas ist so vertieft in sein Spiel, dass er den Vater gar nicht wahrnimmt und unbeirrt weiterspielt. 

Sein Vater tritt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und ruft lauter: „Jonas, komm! Wir müssen jetzt wirklich los.“ 

„Glaaeich“, sagt Jonas, während er dem Puppenjungen den Arm in die Jacke schiebt. 

„Nein, jetzt sofort!“, poltert sein Vater los. 

„NEIN!“, kommt es prompt und bestimmt zurück.


Das ist einer dieser Momente, in denen Malte mit Jonas immer in einen Machtkampf gerät. 

Schweiß bildet sich auf seiner Stirn. Er weiß genau, wenn er jetzt darauf besteht, dass Jonas auf ihn hört, gibt es ein riesengroßes Drama. So wie es jetzt aussieht, kommen sie so oder so schon zu spät.

Er legt Jacke, Mütze und Handschuhe auf die Bank im Flur.

Dann geht er zu Jonas und setzt sich neben ihn. „Das scheint dir wohl gerade sehr wichtig zu sein?“

„Lars muss doch auch angezogen werden, sonst friert er nachher beim Rausgehen“, antwortete Jonas. 

Malte merkt, wie erleichtert sein Sohn nun ist. 

„Ah, du möchtest, dass Lars mitkommt in den Kindergarten. Hmm, was machen wir denn da? Im Kindergarten haben sie es ja nicht so gerne, wenn ihr etwas von zu Hause mitbringt. Das macht immer so viel Unruhe“, gibt er zu bedenken. „Aber nein, Papa!“, antwortet Jonas ganz entrüstet. „Der Lars geht doch in den Kindergarten und ich zur Arbeit. Ich muss ihn nur noch schnell hinbringen.“ 

Mit ausgestrecktem Arm zeigt er in die andere Ecke seines Zimmers, wo ein kleines Spielhaus aus Holz steht. Es ist mit einem kleinen Tisch, zwei Stühlen und einer Spielküche eingerichtet. Dort sitzen schon ein Affe und ein Känguru. 

Malte antwortet sichtlich erleichtert „Ach so!“ 

Wenigstens gibt es dann wegen der Puppe keine Diskussionen im Kindergarten. „Darf ich dir ein wenig beim Anziehen von Lars helfen?“ 

Jonas müht sich gerade mit den Knöpfen der Jacke ab. „Ok.“

Er seufzt und schiebt die Puppe zu seinem Vater hin. Dieser knöpft schnell die Jacke der Puppe zu und legt sie Jonas in die Arme.

Danach trägt Jonas seine Puppe zum Spielhaus, setzt sie dort auf einen Stuhl und gibt ihr einen Kuss. „Spiel schön und bis später.“ 

Winkend dreht er sich um und läuft in den Flur, um sich selbst anzuziehen. „Kommst du endlich, Papa? Sonst kommen wir noch zu spät.“ 

Malte erhebt sich schmunzelnd und verlässt mit Jonas die Wohnung. Als sie im Auto sitzen, schaut er das erste Mal wieder auf die Uhr. 

Er stutzt. „So pünktlich haben wir noch nie im Auto gesessen.“ 


Kinder gehen auf in ihrem Spiel. Für sie ist es in dem Moment real. 

Sie dort herauszureißen, ist ein übergriffiger Akt. Der bewirkt, dass sie sich ohnmächtig und wie ein Objekt fühlen. Sie fühlen sich ihrem selbst entrissen. Das bewirkt eine tiefe Unsicherheit und lässt sie unbefriedigt und frustriert zurück. 

Das Spiel ist etwas Essenzielles, das über den Effekt des Lernens weit hinaus geht. Im Spiel werden Konflikte und selbst kleinere Traumata verarbeitet. Die meisten Kinder haben eine Puppe oder ein Kuscheltier, mit dem sie sich identifizieren und sich im Spiel sogar selbst dadurch Bedürfnisse erfüllen können, wie gehalten und gesehen werden oder Trost zu bekommen.  Dies sollte natürlich nur als Ergänzung gesehen werden. - Die reale Bedürfniserfüllung durch Bezugspersonen sollte eine Selbstverständlichkeit sein.- Dennoch dürfte klar werden, wie wichtig das Spiel ist. 

Wie sagt Maria Montessori so schön: „Das Spiel ist die Arbeit des Kindes.“ 

Und als solches sollten wir es anerkennen und wertschätzen. 

Wenn wir unsere Kinder in ihren Übergängen einfühlsam begleiten, lassen sich viele Konflikte verhindern. 

In dem Moment, in dem wir uns auf ihr Spiel einlassen, erleichtern wir ihnen den Weg in unsere Realität.